Pascal Lammerich: „Scouting ist ein fortlaufender Prozess“

Pascal, du hast in der Saison 2014/15 als Scout bei der Fortuna angefangen. Wie bist du damals zu dem Job gekommen und was hast du vorher gemacht?
„Ich habe von 2006 bis 2012 Sport studiert mit dem Schwerpunkt Training und Leistung. Während meines Studiums habe ich aber als freier Mitarbeiter für die Fortuna bereits Spiele analysiert. Damals war die Videoanalyse noch nicht so verbreitet. Man war viel vor Ort. Ich fand das sehr interessant und irgendwann habe ich den Entschluss gefasst, das Ganze beruflich machen zu wollen.“
Und auf einmal warst du mittendrin, statt nur dabei…
„Letztlich lag es an meiner Eigeninitiative. Unmittelbar vor den Relegationsspielen gegen Bayern München II habe ich mich an einem Freitagabend um 22 Uhr in einen Flixbus gesetzt, ich war dann um 7 Uhr morgens in München am HBF und habe mir noch am selben Tag im Grünwalder Stadion die Partie der Bayern-Reserve gegen Memmingen angeschaut. Diese Analyse habe ich im Anschluss Uwe Koschinat und Michael Schwetje vorgelegt. Beide fanden meine Analyse sehr detailliert und fundiert, so dass sie mir nach dem Aufstieg in die 3. Liga einen Vollzeit-Job als Scout angeboten haben.“
Wie lief die Zusammenarbeit mit Michael Schwetje und Uwe Koschinat damals?
„In Zusammenarbeit mit Michael Schwetje ging es in erster Linie darum ein systematisches Videoscouting durchzuführen mit dem Ziel eine Spieler-Datenbank aufzubauen. Neben meiner Hauptaufgabe dem Spielerscouting fand sehr schnell ein wöchentlicher Austausch (Gegneranalyse) mit Uwe Koschinat statt. In der Folgezeit hat mir Uwe Koschinat viele Einblicke ermöglicht, womit ich zu Beginn meiner Tätigkeit nicht gerechnet hatte. Ab der dritten Saison 2016/17 war ich fester Bestandteil des Teams bei Heim- und Auswärtsspielen. In der Hinrunde 2017/18 war ich beim Abschlusstraining für das Sparringsteam verantwortlich und habe versucht den Gegner zu simulieren.“
Hattest du früher schon eine Verbindung mit der Fortuna?
Ich bin Kölner, dadurch habe ich die Fortuna zu Zweitliga-Zeiten mit Jean Löring verfolgt. Später hatten die Derbys gegen die Viktoria einen hohen Stellenwert, der Nachhall in der Stadt war groß, diese Rivalität interessierte die Leute einfach. Das war bei mir nicht anders.“
Wie wählst du die Spieler aus, die zur Fortuna passen könnten?
„Das ist ein fortlaufender Prozess. Der läuft über mehrere Jahre. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der absolvierten Saison. Ausnahmen gibt es immer, aber in der Regel beobachten wir vor allem die Regionalligen West und Südwest und die U19-Bundesliga. Auch die 3. Liga ist ein Stück weit noch im Fokus, da handelt es sich aber mehr um Spieler mit weniger Einsatzzeiten. In der Hinrunde findet ein Mannschaftsscouting statt. Das Mannschaftsscouting verfolgt das Ziel, viele Spiele von anderen Mannschaften zu analysieren, um viele Spieler zu erfassen und zu bewerten. Aus den Benotungen ergeben sich Durchschnittsnoten. Im Winter startet der Filterungsprozess. In einer Runde mit dem Trainerteam mache ich Vorschläge, welche Spieler herausstechen. Dann wird diskutiert und es entsteht eine Priorisierung, welche Spieler interessant sind, und gleichzeitig auslaufende Verträge haben. Die werden dann intensiver beobachtet und analysiert. Im Einzelspielerscouting geht es darum, die notwendige Überzeugung für einen potenziellen Neuzugang zu entwickeln."
Worauf achtest du dabei besonders?
„In den Beobachtungen versuchst du einen ganzheitlichen Eindruck über den Spieler zu gewinnen. Dabei geht es zum Beispiel um wiederkehrende Handlungsmuster im taktischen Bereich (offensive und defensive Handlungsschnelligkeit), technisch und koordinative Fähigkeiten, Zweikampfverhalten, Ausdauerleistungsfähigkeit und die Bewegungsschnelligkeit (Antrittsschnelligkeit und Beschleunigungsfähigkeit) eines Spielers. Ein weiter wichtiger Aspekt ist die Persönlichkeit eines Spielers, aber das ergibt sich meistens später im persönlichen Gespräch, dabei werde ich in letzter Zeit auch mehr involviert. Das hat für meine Arbeit einen Mehrwert, ich kann das Bild dadurch für mich abrunden.“
Wo stellten sich im Vorfeld dieser Saison die größten Herausforderungen?
„Generell müssen wir damit leben, dass es immer wieder zu einem Umbruch kommen kann. Dieses Mal ist er in Summe etwas größer als erwartet ausgefallen. Das gehört aber einfach dazu. Im Rahmen unserer Möglichkeiten sind wir darauf gut vorbereitet.“
Du warst zwei Jahre beim SV Sandhausen. Welche Unterschiede gab es im Vergleich zur Arbeit bei der Fortuna?
„Für mich war es ein wichtiger Schritt, ich konnte da andere Einblicke bekommen. Die Trainingsmöglichkeiten waren nicht vergleichbar. Natürlich hatte das Spielermaterial auch eine andere Qualität.
Wie siehst du die Mannschaft aktuell aufgestellt für kommende Saison?
„Uns haben Leistungsträger verlassen, die wir gerne gehalten hätten. Das ist absolut legitim, wenn der Vertrag ausläuft. Im ersten Moment ist das ärgerlich. Uns ist nachgewiesene Qualität verloren gegangen. Wir sind dennoch voller Tatendrang. In erster Linie gilt es nun, die neuen Spieler reibungslos zu integrieren. Für die Neuen bedeutet dies auch eine Chance, sie können schnell eine verantwortungsvolle Position einnehmen. Die Leistungsdichte in der Regionalliga West ist generell hoch. Ich bin aber auch kein Freund davon, weit vorauszudenken. Ich mache lieber alles in kleinen Schritten.“
An welchen Stellschrauben muss noch gedreht werden?
„Defensiv, in der letzten Reihe, müssen wir sicher noch nachlegen. Aber auch hier könnte zeitnah was passieren.“
Sind die teilweise schlechten Trainingsbedingungen hinderlich bei Vertragsgesprächen?
„Nein, negative Auswirkungen sind mir nicht bekannt. Matthias Mink ist sehr offen und ehrlich in den Gesprächen. Er kommuniziert klipp und klar, was den Spieler hier erwartet. Wir machen mit jedem Spieler einen Rundgang und zeigen ihm alles.“
Du schaust dir auch alle Spiele der U23 an…
„Wenn es keine Überschneidungen gibt, bin ich dort auch vor Ort. Die zweite Mannschaft hat eine extreme Wichtigkeit, das merkst du sofort, wenn du bei Fortuna arbeitest. Sie ist einen außergewöhnlichen Weg gegangen von ganz unten nach ganz oben. Aus unterschiedlichen Bereichen gibt es hier im Verein so viele Menschen, die eine besondere Fürsorge für diese Mannschaft haben. Das finde ich faszinierend. Hinzu kommen strategische Dinge und die gelebte Verzahnung. Matthias Mink schaut auch fast alle Spiele der U23.“
Gibt es Spieler, die dir beim Scouting besonders in Erinnerung geblieben sind?
Kai Havertz damals in der U-19 bei Bayer Leverkusen, seine Antizipationsfähigkeit in dem Alter war enorm, wie kontrolliert er sich bewegt hat, wie schnell er offene Räume erkannt hat, das war außergewöhnlich. Auf Fortuna bezogen, hat es mir unglaublich viel Spaß gemacht Maik Kegel bei Holstein Kiel zu beobachten. Zu dem Zeitpunkt habe ich nicht gedacht, dass Fortuna für ihn mal interessant werden würde. In der 3. Liga war er der Spieler, der in der Entwicklung den meisten Einfluss auf unser Spiel genommen hat.“
Woran machst du den Erfolg deiner Arbeit fest?
„Ob du eine gute oder schlechte Saison hast, da spielen viele Faktoren eine Rolle, die du nicht immer beeinflussen kannst. Für mich ist ein Aspekt, wenn ein Spieler den nächsten Schritt geht. Im Endeffekt bewerte ich das Ganze erst, wenn der Vertrag ausgelaufen ist. Dann ist der Zeitpunkt gekommen zu sagen, das war für mich persönlich ein guter Transfer für die Fortuna oder halt nicht. Positive Beispiele sind aktuell Joshua Eze, Stipe Batarilo, Adrian Stanilewicz, Barne Pernot oder Hendrik Mittelstädt. Hier bin ich für mich zufrieden. Und ein positives Feedback des Trainers und des Geschäftsführers bekommt man natürlich auch gerne.“